Gründe in der Kirche zu bleiben
Leben ohne Kirche?
In den letzten Tagen war neben Corona die hohe Anzahl der Kirchenaustritte ein beherrschendes Thema in den Medien. Die Gründe für die Kirchenaustritte wurden genannt. Es wurden Wege diskutiert, wie dem entgegengesteuert werden kann. In dieser Zeit habe ich die Gründe für den Verbleib in der Kirche etwas vermisst. Also startete ich eine private, nicht repräsentative Umfrage zum Thema: Darum bleibe ich in der Kirche. Ich stellte die Frage am Sonntag gegen 13.00 Uhr in den Status meines Handys und erhielt bis jetzt 321 Nachrichten. Die Antworten waren vielfältig, entsprachen zum Teil meiner Erwartung aber waren auch überraschend.
Bei aller Kritik, die auch notwendig und angebracht ist, überraschte mich die insgesamt positive Tendenz.
Hier ist ein Querschnitt aus allen Antworten, die mich bisher erreichten. In vielen Antworten wird deutlich, dass die Kirche nicht mehr für zeitgemäß gehalten wird. Trotzdem wird (nicht nur) aus Tradition (noch) an der Institution Kirche festgehalten, weil
Die Kirche ist für mich eine Gemeinschaft der Glaubenden, zu der ich mich hingezogen fühle, weil ich in ihr die Liebe Gottes zu uns Menschen spüre und erfahre. Sie trägt mich und gibt mir Kraft und Trost für mein Leben, sowohl in guten Tagen (Dankbarkeit für alles, was ich empfange), als auch in schwierigen Zeiten.
Die Kirche als Gebäude ist für mich ein Ort, an dem ich mich Gott und Jesus Christus besonders nahe fühle (durch das Wort Gottes und den Empfang der Eucharistie), wo ich mich fallen lassen kann, zur Ruhe und Besinnung kommen kann.
Ich könnte mir mein Leben ohne die Kirche nicht vorstellen… Allerdings gibt es da auch die andere Seite: mit veralteten starren Strukturen und leider auch dem Machtmissbrauch 😔
Gerade jetzt in den Corona-Zeiten habe ich die Kirche als Zufluchtsort erlebt und konnte dort Trost finden.
Ich habe fast jeden Sonntag den TV-Gottesdienst verfolgt, obwohl ich sonst nicht zu den Kirchgängern gehöre. Das hat mir Kraft gegeben.
Aus dem christlichen Glauben ergeben sich Werte, die für ein verantwortungsbewußtes Leben wichtig sind.
Ich bin Messdienerin. Die Kirche bedeutet für mich Gemeinschaft. Allerdings könnte die Kirche daran arbeiten, zeitgemäßer zu werden.
Die Kirche begleitet die Menschen von der Wiege bis zur Bahre.
Ich habe mir auch schon überlegt auszutreten, aber durfte in der Coronazeit viele gute Gespräche mit Seelsorgern führen.
Die Kirche gibt mir die Hoffnung auf Gott über den Tod hinaus.
Ich bleibe in der Kirche, weil ich mir unser Dorf nicht ohne Kirche vorstellen kann. Wenn alle austreten, wird die Kirche irgendwann geschlossen.
In der Kirche finde ich Ruhe und Besinnung. Davon gibt es in der Gesellschaft viel zu wenig.
In den Gottesdiensten treten die Menschen mit Gebeten für andere ein. Das ist Nächstenliebe, die nicht greifbar ist, die aber gut tut.
Ich kann nicht aus der Kirche austreten aber die kirchlichen Feiertage mitfeiern. Dabei prägen diese Feiertage mit ihrer besonderen Atmosphäre das ganze Jahr.
Ich bin getauft aber nicht wirklich fromm. Natürlich glaube ich an Gott. Ob ich in der Kirche bleibe, hängt davon ab, wie sie sich langfristig weiter entwickelt.
Die Gespräche mit den Seelsorgern tun mir gut. Es ist für mich angenehmer als mich einem fremden Menschen anzuvertrauen, weil die meine persönliche Situation nicht kennen.
Ich bleibe in der Kirche, weil ich nicht auf die kirchlichen Sakramente verzichten will. Wer die Kirche unterstützt, übt Solidarität mit den Schwachen und Benachteiligten; als Ehrenamtliche bin ich ein Teil davon. Alleine könnte ich mich nicht ehrenamtlich auf diese Art und Weise einbringen.
Kirchliche Musik und Kunst sind bis heute prägende Kräfte unserer Kultur.
Wo immer Menschen hinkommen oder hinziehen, treffen sie auch die weltweite christliche Gemeinschaft. Dazu kann jede und jeder beitragen.
An Kirche kann man sich ärgern und freuen und also erwachsen werden und auch mitgestalten.
Wenn es keine Kirchen mehr gibt, müssen CDU und CSU das C aus dem Namen streichen. Diese Umstellung (auf Briefbögen, Werbetafeln etc.) wäre viel zu teuer. 😊
Kirchen haben Pfarrer und die sind Seelsorger, die den Menschen helfen, wenn sie das Leben nicht mehr aushalten. Kirchen finanzieren Sozialstationen, Kindergärten, Sorgentelefone, Beratungsdienste. Das alles ist nicht umsonst. Dafür ist die Kirchensteuer da.
Im Reli-Unterricht kann man sich wenigstens in Ruhe unterhalten.
Eine Konfession ist ein interessantes Merkmal, um es im eigenen Online-Profil zu notieren.
Kirchen sind im Sommer erfrischend.
Nur in der Kirche ist heiraten schön.
Sightseeing ohne Kirchen – da fehlt was.
Ohne Kirche keine Feiertage. Ohne Feiertage keine Brückentage.
Wo soll man in der Öffentlichkeit denn bitte Kerzen anzünden, wenn es keine Kirchen mehr gibt, einem aber gerade nach Besinnlichkeit oder Trost zumute ist?
An der Kirche hängen viele zehntausend Arbeitsplätze.
Manche Geschichten in den Predigten sind also wirklich gut!
Was wäre die Filmgeschichte ohne Geschichten mit Kirchen und Klöstern?
Beten ist wie Meditation. Das geht in der Kirche besser als auf der Gymnastikmatte.
In der Kirche höre ich die gute Nachricht von der Liebe Gottes zu den Menschen und zu seiner Schöpfung. In einer Welt, in der es viel Leid und viel Böses gibt, tut das gut!
Kirchen sind stille Oasen inmitten des oft hektischen Alltags. In Kirchen komme ich zur Ruhe und spüre Gottes Gegenwart.
Die Kirche begleitet mich an wichtigen Stationen in meinem persönlichen Leben z.B. Taufe, Erstkommunion, Firmung, Trauung. Hier werde ich an das erinnert, was wirklich wichtig ist im Leben: An Gottes Segen.
Glaube ohne Kirche, ohne Gemeinschaft geht für mich nicht.
Im Leben Jesu kann ich wahre Werte erkennen: Friedfertigkeit und Mut zur Wahrheit, Nächstenliebe und Ehrfurcht vor dem Leben. Das sind Maßstäbe, die für die Kirche gelten und auch in der Gesellschaft und in der Politik nicht vergessen werden dürfen.
In der Kirche herrscht nicht das Prinzip von Leistung und Gegenleistung Ich kann spüren wie gut es tut, einfach zu empfangen und das Leben als Geschenk zu entdecken.
Die christliche Botschaft betont die Würde und Einmaligkeit eines jeden Menschen. Wir werden nicht beurteilt, sondern als eigenverantwortlicher Mensch mit unseren individuellen Gaben und Eigenheiten, Stärken und Schwächen ernst genommen.
In die Kirche darf ich kommen, wie ich wirklich bin. Ich muss mich nicht verstellen.
Die Liebe Gottes gilt allen Menschen seiner Schöpfung. Durch die Kirche fühle ich mich auch mit den Schwachen und Benachteiligten in der direkten Nachbarschaft und der weiten Welt verbunden.
Christinnen und Christen können in der Kirche mit Ihrem Gebet und mit ihrer Tatkraft bei Gott für andere eintreten.
In der Kirchengemeinde finde ich eine Gemeinschaft ganz besonderer Art. Sie umfasst ganz unterschiedliche Menschen von jung bis alt. Trotz aller Unterschiede verbindet diese Menschen die Aufgeschlossenheit für die Botschaft Jesu Christi. Den unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen der Gemeindemitglieder entspricht das breite Angebot an Kreisen, Gruppen, Einrichtungen und Veranstaltungen.
Auch Christinnen und Christen leben nicht frei von Konflikten. Die Kirche erinnert daran, dass Jesus uns Mut gemacht hat, zu unseren Fehlern zu stehen und einander zu vergeben. Beichte und Eucharistie können Befreiungserfahrungen sein. Solche Erfahrungen helfen Christinnen und Christen sich auf Neuanfänge einzulassen und so Konflikte zu bewältigen.
Kirchliche Musik und Kunst vieler Jahrhunderte sind bis heute prägende Kräfte unserer Kultur; in der Kirche wird dieses Erbe gepflegt. Gleichzeitig entstehen in der Auseinandersetzung mit dem Glauben immer neue zeitgenössische Kunstwerke und Lieder. Der Glaube findet in der Kirche in vielfältigen Formen Ausdruck. Ihr kulturelles Erbe macht die Kirche zudem zur Bildungsträgerin. In Kindergärten, Schulen sowie in der Erwachsenenbildung und in Akademien nimmt die Kirche einen wichtigen Bildungsauftrag wahr.
Ich persönlich stimme u.a. dem Kirchenkritiker Erik Flügge zu, der auf die Frage, warum er nicht aus der Kirche austritt, geantwortet hat:
Kirchen interessieren sich für alte Leute
Keiner von uns altert gerne. Die Konsequenz ist, dass wir uns nicht so gerne mit dem Alter beschäftigen. Wir drücken das Thema gesellschaftlich weg. In Altersheime zum Beispiel – gesamtgesellschaftlich getreu dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Für unser eigenes Wohlbefinden ist das leicht erklärlich, aber richtig unangenehm ist das für die alten Menschen. Deshalb ist es gut, dass die Kirchen so sehr auch auf die Ältesten setzen. Für viele einsame alte Menschen ist die Kirche einer der ganz wenigen gesellschaftlichen Anschlusspunkte. Dafür zahle ich gerne meinen Beitrag.
Der Tod kommt plötzlich
Schnelle Frage: Welche staatliche Institution kennt sich mit Tauerarbeit aus? – Richtig, keine. Auf keinem Rathaus in Deutschland gibt es Menschen, die geübt darin sind, Angehörige durch die Trauer zu begleiten. Totenscheine ausstellen können die. Aber das hilft in der Trauer leider nichts. Die Kirchen finanzieren aus Kirchensteuermitteln ein flächendeckendes Netz der Sterbe- und Trauerbegleitung. Irgendwann braucht das jeder von uns.
Kirchen organisieren schichtübergreifend Begegnung
Junge Menschen werden in Deutschland fein säuberlich auf Schulen sortiert. Leider passiert das nicht nach Intelligenz, sondern viel mehr nach Elternhaus. Je gebildeter und einkommensstärker die Eltern, desto eher landet ein Kind auf dem Gymnasium. Nachgewiesen wurde das schon in unzähligen Studien, effektiv geändert hat noch niemand was daran. Deshalb sind die kirchlichen Lehr- und Lernveranstaltung wie der Firmunterricht oder Konfirmationsunterricht so interessant. Sie bilden eine der ganz seltenen gesellschaftlichen Gelegenheiten, bei denen sich junge Menschen über Schularten hinweg begegnen und gemeinsam lernen. Früher gab es das sonst in der Größenordnung nur noch beim Bund und beim Zivi. Beides gibt’s nicht mehr.
Kirchen sind irrational
Warum sollte man etwas fördern, was zutiefst irrational ist? Wollen wir nicht, dass alle und alles sich an Fakten orientiert? – Nein! Denn das Denken außerhalb der Bedingungen der Logik ist der Anbeginn von Kreativität und Kunst. Die lässt sich nämlich nicht berechnen, sondern entsteht im freien Spiel der Kräfte. Kreativität und Kunst sind der Schlüssel dazu, dass Menschen Dinge völlig neu und anders denken. Sie sind die Quelle des Erfindergeistes. Alle Prognosen für die Zukunft unseres Wirtschaftssystems besagen, dass die Kreativität immer wichtiger werden wird, allerdings drängen wir gleichzeitig die Kreativität immer mehr zurück. Alles muss effizienter, zielgerichteter, präziser laufen in unserer Gesellschaft. Jeder wird darauf getrimmt, sich zu optimieren. Die Räume für freies Gedankenspiel nehmen ab. Deshalb ist es gut, wenn es in der Mitte unserer Gesellschaft mit den Kirchen irrationale Akteure gibt, die eher unlogisch als logisch funktionieren, ineffizient statt zielgerichtet, diskursiv statt präzise.
Kirchen mit weniger Mitgliedern werden radikaler
Einer der für mich besten Gründe in der Kirche zu bleiben ist, dass die Kirchen durch meinen Austritt ihren Einfluss in der Gesellschaft nicht verlieren würden, aber einen internen Kritiker. Solange Leute wie ich in der Kirche Mitglied sind, muss die Kirche auch Rücksicht auf Leute wie mich nehmen. Sie versucht uns zu binden und zu halten und das trägt mit dazu bei, dass allzu radikale Positionen sich nicht durchsetzen. Dafür bleibe ich gerne.
Fazit: Entscheidend ist, dass wir bei aller Treue zur Kirche nicht kritiklos sind. Dabeibleiben ist gut. Dabeibleiben, konstruktiv kritisieren und kreativ aktiv werden ist besser.
Mechtild Sicking, Pastoralreferentin